Was unterscheidet Genom-Editierungsverfahren wie CRISPR/Cas9 von herkömmlichen Technologien zur Veränderung des Erbguts und welche Risiken ergeben sich daraus?
Am 3. Mai 2017 ging man im Rahmen des 28. Ernst Mach Forums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien dieser und weiterer Fragen bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Zugriff auf das Erbgut - Wird das Leben neu erfunden?“ auf den Grund.
Ziel der Veranstaltung war es, sowohl naturwissenschaftliche als auch geisteswissenschaftliche Aspekte neuer Biotechnologien mit der Gesellschaft zu teilen und gemeinsam zu reflektieren.
Vor allem CRISPR/Cas9, eine molekularbiologische Methode die es erlaubt, exakt und schnell Veränderungen am Erbgut von Organismen durchzuführen, steht medial zurzeit im Fokus. Das damit verbundene brandaktuelle Thema Genom-Editierung und die gesellschaftlichen und ethischen Fragen der neuen „Genscheren“-Technologien wie CRISPR/Cas9 wurden an diesem Abend von vier ExpertInnen mit dem Publikum diskutiert.
Genom-Editierung – Wissenschaftsfreiheit und Bioethik
„Genom-Editierungs-Verfahren bereiten sowohl Natur- als auch GeisteswissenschaftlerInnen Kopfzerbrechen“, so Moderator und Ö1 Wissenschaftskommunikationsexperte Martin Berndorfer. Groß sind die Ängste, dass die neue Technologie allzu tiefe Einschnitte in die Evolution mit sich bringen könnte.
Jürgen Knoblich, Molekularbiologe und Forscher am IMBA (Institute für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) sah vor allem drei ethisch und gesellschaftlich schwierige Bereiche, in denen die Diskussion um den Einsatz von Genscheren besonders notwendig ist: dem Eingriff in das Erbgut von Eizellen oder embryonalen Zellen zur Optimierung menschlichen Lebens, die Veränderungen von Saatgut mithilfe der molekularen Scheren, die nicht mehr nachweisbar sein werden, und der sogenannte Gene Drive - Veränderungen in der Keimbahn von Tieren, die an Nachkommen weitergegeben werden können und potentiell in der Wildbahn die Weltpopulation einer Art komplett verändern könnten.
Evolutionsbiologe Josef Reichholf, bis 2010 Leiter der zoologischen Staatssammlung in München und einer der führenden deutschen Intellektuellen, gab zu bedenken, dass die Veränderung des Erbguts von Organismen durch den Menschen an sich kein Novum darstellt. Das Anthropozän, das Zeitalter, in dem der Mensch wichtigster Einflussfaktor biologischer Prozess auf der Erde geworden ist, hat längst begonnen. Was durch die Domestikation von Haus- und Nutztieren begann und in der Zucht von umstrittenen „Turbo-Kühen“ für die Landwirtschaft gipfelte, wird nun durch eine Methode weitergeführt, die es erlaubt, schneller, günstiger und präziser vorzugehen. Es entstehen dabei keine neuen ethischen Fragestellungen sondern neue Fragen der Risikobeurteilung, so Reichholf.
Die molekularbiologischen Methoden der Genom-Editierung sind so einfach geworden, dass sie in Zukunft eventuell auch außerhalb des traditionellen Wissenschaftsbetriebs anwendbar sein werden. Ulrich Körtner, Vorstand des Instituts für Systematische Theologie und Religionswissenschaft der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin, sieht seine Rolle auch darin, eine Lanze für die Freiheit der Forschung zu brechen und gleichzeitig auf Gefahren im Kontext der Genom-Editierung hinzuweisen. Er meinte, es gäbe eine „Verpflichtung zur Forschung“, die der Bevölkerung dieser Welt ein „menschenwürdiges“ Leben ermöglicht, gleichzeitig wäre die Biotechnologie aber nicht allein als Lösung allen Übels zu sehen.
Genom-Editierung und Science Fiction
Julia Diekämper ist Kulturwissenschaftlerin, Lehrbeauftrage an namhaften deutschen Universitäten und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Gentechnologiebericht“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Sie zeigte im Kontext der Optimierung des Lebens durch Genom-Editierung die Grauzone zwischen Verbesserung, Therapie und Prävention. Aktuell beobachtet sie beispielsweise im Bereich der Fortpflanzungsmedizin eine Verschiebung von „der Heiligkeit des Lebens“ hin zu einer „Ethik des Heilens“, die auch im Kontext der Genscheren relevant ist. Diekämper erklärte auch, warum es essentiell ist, die Bevölkerung frühzeitig in den Diskurs einzubinden: Genom-Editierung ist auf alle Lebewesen anwendbar und hat mit unser aller Lebenswirklichkeit zu tun. Da es dabei nicht nur um uns selbst, sondern auch um unsere Umwelt und um zukünftiges Leben geht, ist die Gesellschaft besonders sensibilisiert und bildet sich eine Meinung, die Gehör finden und einen Dialog generieren sollte.
Einigkeit herrschte bei den ExpertInnen darüber, dass eine klare nationale gesetzliche Regulation von Genom-Editierungs-Verfahren unabdingbar ist und die Gesellschaft aktiv in diese Debatte miteinbezogen werden muss. Schwierig wird es, international gültige Rahmenbedingungen für die neuen Anwendungen zu finden, da die ethischen und gesellschaftlichen Fragestellung zur Genom-Editierung nicht nur kulturell und historisch beeinflusst, sondern auch stets zeitspezifisch Veränderungen unterworfen sind.
Im Diskurs um die Anwendung der Genom-Editierung soll der Informationsfluss nicht nur von der Wissenschaft zur Gesellschaft gehen, sondern auch die Gesellschaft sollte EntscheiderInnen Informationen zu gesellschaftlichen Fragestellungen näherbringen. Am Beispiel des Scheiterns der grünen Gentechnik in Deutschland kritisierte Josef Reichholf, dass nicht selten zu intensiv diskutiert würde, wo zu wenig Wissen vorhanden ist. Damit machte er deutlich, dass eine umfassende Beurteilung von Risikofragen der Genom-Editierung, neben einem umfangreichen Wissen zur Technologie selbst, auch ein gemeinsames Abwägen der Disziplinen und einen transparenten Wissenstransfer hin zur Gesellschaft notwendig macht.
Nicht nur Wissen ist Basis des Diskurses, auch Gedankenexperimente wie sie durch Science Fiction in Büchern und Filmen in die Gesellschaft transportiert werden, sind wichtig um Verständnis für neue Technologien zu generieren. Sie sind jedoch nicht primär dafür da, Anerkennung für das zu schaffen, was technisch möglich ist, so Julia Diekämper. Auch wenn es heutzutage nicht mehr genau auszumachen ist, ob sich nun die „Fiction“ der „Science“ oder bereits die „Science“ der „Fiction“ annimmt: die Szenarien der Science Fiction durchzuspielen erlaube es uns, anschauliche Beispiele für einen verständlichen Diskurs zu generieren. Dass Science Fiction dabei mit einer dystopischen Vorstellung von Wissenschaft und Technik spielt, bleibt kritisch zu hinterfragen.
ORF Sendung zur Diskussion: Ö1 Dimensionen am 8.5.17 um 19:05 Uhr
Erstellt am 04.05.17 durch EK.
s, 04.05.2017