Sich einen Kübel mit Eiswasser über den Kopf zu schütten und ein Video davon in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter zu posten: Diese einfache Idee bringt einer Erkrankung des motorischen Nervensystems, der Amyotrophen Lateralsklerose (kurz: ALS), gerade weltweite Aufmerksamkeit und nicht zuletzt auch einiges an Geld ein. Seit Ende Juli 2014 verbreitet sich die ALS Ice Bucket Challenge online wie ein Lauffeuer. Ziel davon ist es, Spenden für Forschung zu dieser seltenen Erkrankung einzutreiben. Symptome der Krankheit sind Muskelschwäche und –schwund. Der britische Star-Physiker Stephen Hawking ist sicherlich einer der bekanntesten ALS-PatientInnen . Die Krankheit ist bisher nicht heilbar, wie sich auch an Hawkings schrittweise verschlechterndem Gesundheitszustand zeigt. Das soll sich nun allerdings durch die bereits über 100 Millionen erhaltenen Dollar an Spendengeldern ändern.
Das Prozedere der Challenge funktioniert so: Wer offiziell im Internet nominiert wird, soll sich entweder einen Kübel mit Eiswasser über den Kopf schütten oder für ALS-Forschung spenden und dann weitere „Opfer“ nominieren. Die meisten TeilnehmerInnen machen gleich beides: Spenden und eine kalte Dusche nehmen. Manche Prominente, wie etwa Bundespräsident Heinz Fischer, bevorzugen jedoch nur den kräftigen Griff in die Geldbörse.
Doch mittlerweile ist auch Kritik an der vermeintlich guten Sache laut geworden. Zum einen fließen nur etwa 28% der Spendengelder wirklich in die Forschung – ein Großteil wird wie bei anderen Spendenorganisationen für die Verwaltung ausgegeben. Zum anderen heißt mehr Forschung zu ALS auch, dass mehr Tierversuche durchgeführt werden. Die Schauspielerin Pamela Anderson und die Sängerin Grimes verweigerten daher eine Spende. „Menschliche Krankheiten auf Basis von überholten und ineffektiven Tierversuchen heilen zu wollen ist nicht nur grausam, sondern auch ein schlechter Dienst an den Menschen, die dringend auf Heilung warten“, so Anderson.
Ähnlich sehen dies Tierschutzorganisationen wie PETA, Ärzte gegen Tierversuche und der Österreichische Tierschutzverband, die alle bereits auf das sich hinter der Challenge verbergende ethische Dilemma hingewiesen haben. Laut Ärzte gegen Tierversuche werden in der ALS-Forschung Mäuse und Ratten verwendet, die durch Ausschalten eines Gens ähnliche Lähmungserscheinungen wie ALS-PatientInnen aufweisen.
Die Versuchstiere würden völlig unnötig leiden, argumentiert der Verein mit Bezug auf eine Studie des ALS Therapy Development Instituts (Perrin 2014). Die Studie zeigt, dass es bisher von den an Mäusen getesteten Wirkstoffen nur ein Dutzend auch in die klinische Test-Phase mit menschlichen ProbandInnen schafften. Und von diesen hat nur ein Wirkstoff einen leichten Nutzen für ALS-PatientInnen gezeigt. Eine magere Ausbeute.
Die umstrittene Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierversuchen auf den Mensch steht auch im Zentrum der öffentlichen Debatte zum Thema Tierversuche. BefürworterInnen von Tierversuchen argumentieren, dass schließlich die Gene vieler Versuchstiere ähnliche Funktionen und Strukturen wie jene des Menschen aufweisen und die Übertragbarkeit somit berechtigt ist. TierversuchsgegnerInnen sehen in der angenommenen Übertragbarkeit jedoch reine Spekulation. Da ALS nur beim Menschen vorkomme, würden Tiermodelle in die Irre führen. Zudem könnten den Erkrankten nützliche Wirkstoffe bisher entgangen sein, wenn diese im Tierversuch schon vorzeitig „aussortiert“ wurden.
Der Verein Ärzte gegen Tierversuche und der Österreichische Tierschutzverein fordern daher die edlen SpenderInnen auf, anstatt Tierversuche zu fördern besser in Forschung zu tierversuchsfreien Tests mit menschlichen Zellen, Computersimulationen und Biochips zu investieren. Denn Status Quo ist, dass es für viele biomedizinische Fragestellungen derzeit keine praktikablen Alternativen zu Tierversuchen gibt.
Alle, die sich über das Thema Tierversuche in der Forschung informieren, sich eine eigene Meinung bilden und mit anderen diskutieren wollen, haben jetzt dazu mit dem neuen von Open Science entwickelten PlayDecide Kartenset die Gelegenheit. Die nächste Chance zur Diskussion gibt es in Wien am 26.9.2014 im Rahmen der European Researcher’s Night ! Und vielleicht steht dort ja auch ein Kübel Eiswasser für freiwillige Versuchskaninchen bereit.
Erstellt am: 9.9.2014
Quellen:
Perrin S.: Make mouse studies work. Nature 2014, March; 507: 423-425
Stellungnahme des Vereins Ärzte gegen Tierversuche
Presseaussendung des Österreichischen Tierschutzvereins
s, 09.09.2014