Drei Krankheitsprozesse, die komplex miteinander verbunden sind
Eine Entzündung ist eine Abwehrreaktion des menschlichen Körpers gegen eine Stresssituation. Der biologische Stress, auf den der Körper antwortet, kann einerseits durch Krankheitserreger verursacht sein, andererseits auch durch physikalische Schädigungen des Gewebes oder eine Störung des biologischen Gleichgewichts.
All diese verschiedenen Faktoren aktivieren ein zelluläres Molekül namens NF-kappa B (siehe Bild 1 -NF-kappa B ist ein zentrales Molekül bei Entzündungsreaktionen, sowie ein Regulator des Immunsystems und ist auch bei der Krebsentstehung und der Entwicklung kardiovaskulärer Krankheitsbilder beteiligt.), das dann in den Zellkern wandert und bestimmte Gene aktiviert, die dazu dienen, mit der Stresssituation fertig zu werden. Zu diesen Genen zählen Faktoren, die den Zelltod hemmen, sowie Moleküle die an die Oberfläche der Zellen transportiert werden und dort weiße Blutkörperchen, die Abwehrzellen des Blutes, andocken lassen. Außerdem werden Botenstoffe freigesetzt, die die Nachbarzellen ebenfalls in einen Alarmzustand versetzen.
Dadurch können zum Beispiel Krankheitserreger unschädlich gemacht werden, oder Gewebeschädigungen repariert werden. Nach der Beseitigung der Stressursache wird der Alarmzustand normalerweise beendet und der Organismus erreicht wieder einen physiologischen Grundzustand. Aufgrund der komplexen Feinregulation dieser Abläufe kann es jedoch auch zu chronischen Entzündungsprozessen kommen, bei denen die Zellen, das betroffene Organ oder der gesamte Organismus in einem dauerhaften Alarmzustand bleiben. Dies kann vielfältige negative Folgen haben und man weiß heute, dass zahlreiche Erkrankungen mit chronischen Entzündungsprozessen verbunden sind. Dazu zählen verschiedene Formen von Krebs oder auch pathologische Veränderungen von Blutgefäßen, wie sie bei Herzinfarkt, Arteriosklerose oder Thrombosen auftreten. Diese beiden Krankheitsgruppen: Krebs und kardiovaskuläre (Herz-Kreislauf) Erkrankungen stellen die Haupt-Todesursachen in der westlichen Welt dar. Im Fall von malignen Krankheiten (Krebs) spielt das Molekül NF-kappa B eine vielfältige und komplizierte Rolle. Mutationen, die zu einer krebsartigen Entartung führen, verursachen in den meisten Fällen einen Zelltod - die sogenannte Apoptose. Wenn allerdings gleichzeitig ein Entzündungsprozess im Gange ist, kann eine mutierte Zelle aufgrund der Aktivierung von NF-kappa B überleben und sich weiter teilen. Darüber hinaus kann eine Entzündung auch selbst als Ursache für eine DNA-Schädigung und damit Mutation verantwortlich sein, da dabei von bestimmten Abwehrzellen oxidative Substanzen freigesetzt werden, die pathogene Keime abtöten sollen, aber gleichzeitig die umgebenden Körperzellen schädigen können. Entzündliche Abwehrreaktionen sind also oft bei der Krebsentstehung mit beteiligt. Tumore selbst lösen auch meist eine Art chronischer Entzündung aus, da sie weiße Blutkörperchen anlocken, die Botenstoffe der Entzündung freisetzen und in der Folge NF-kappa B und damit Überlebensmechanismen in den Krebszellen aktivieren. Andererseits dienen Abwehrzellen aber auch zur Beseitigung von Krebszellen, was es schwierig macht, in diesen komplexen Kreislauf therapeutisch einzugreifen.
Außerdem greift das Immunsystem einen vorhandenen Tumor nach einer gewissen Zeit nicht mehr an, sondern hilft den Tumorzellen im Gegenteil sogar noch Metastasen zu bilden, und zwar durch Mechanismen, die bei der Wundheilung eine Rolle spielen. Eine genauere Analyse dieses problematischen Phänomens hat zu der aktuellen Expertenmeinung geführt, dass ein Tumor vom Körper oft als eine Art Wunde angesehen wird, die geheilt werden soll und deshalb vom Abwehrsystem nicht mehr angegriffen wird („cancers are wounds that do not heal“).
Eine ähnlich komplexe Rolle haben entzündliche Prozesse bei kardiovaskulären Erkrankungen. Man weiß aufgrund verschiedener Untersuchungen heute, dass Arteriosklerose eine Art chronische Entzündung des Blutgefäßsystems ist, die zum Beispiel durch einen erhöhten Cholesterin-Spiegel im Blut verursacht werden kann. Dabei werden die Endothelzellen, das sind jene Zellen, die die Blutgefäße Ihnen auskleiden, in einen Stresszustand versetzt, was zur Aktivierung von NF-kappa B führt. Die Folge ist, dass bestimmte weiße Blutkörperchen andocken, in die Gefäßwand einwandern und versuchen, das vorhandene Cholesterin und die Blutfette zu eliminieren, indem sie sie aufnehmen und abbauen (Phagocytose). Dabei wandeln sie sich jedoch in sogenannte Schaumzellen um und es kommt auch zur Aktivierung und Vermehrung der glatten Muskelzellen, die die Blutgefäße umgeben. Das führt letztendlich zu einer Verengung des Gefäßes und der Ausbildung sklerotischer Ablagerungen (siehe Bild 2). Wenn solche Verengungen die Herzkranzgefäße betreffen, kann es zur Unterversorgung des Herzmuskels und zu einem sogenannten Myokard-Infarkt kommen. Löst sich eine größere Ablagerung in einem Blutgefäß plötzlich ab, kann auch ein Thrombus entstehen, der an einer anderen Stelle des Organismus wesentliche Blutgefäße verstopft und zum Beispiel zu einer Lungenembolie oder einem Schlaganfall führt.
Bild2: Querschnitt eines Blutgefäßes mit Arteriosklerose. Die Verengung des Gefäßes und die Verdickung der Gefäßwand sind deutlich erkennbar. Bild: Nephron; cc/by-sa
Die Aktivierung der Endothelzellen geschieht besonders häufig an Stellen des Blutkreislaufes, wo turbulente Strömungsbedingungen herrschen (wie zum Beispiel an größeren Verästelungen) oder wo bereits eine Verengung vorhanden ist. Dadurch kann es auch zu einer Rückkopplungsschleife und einer Beschleunigung des krankhaften Prozesses kommen.
Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit den komplexen Zusammenhängen zwischen Entzündung, Krebsentstehung und Blutgefäßerkrankungen und versucht die molekularen und zellulären Wechselwirkungen zu verstehen, die an der Entwicklung und dem Verlauf dieser lebensbedrohenden Erkrankungen beteiligt sind.
Autor: Johannes Schmid; Medizinische Universität Wien
s, 26.11.2013