Prof. Dr. Werner Linkesch leitet die Klinische Abteilung für Hämatologie an der Universitätsklinik für Innere Medizin der Medizinischen Universität Graz. Er ist Spezialist für Stammzell- und Knochenmarkstransplantationen und Leukämieforscher. Mit seinem Team transplantierte er 2001 erstmals in Österreich einer erwachsenen Leukämie-kranken Frau Stammzellen aus einer fremden Nabelschnur. Stammzelltherapie ist für Prof. Linkesch ein Paradebeispiel für die gezielte, individuelle Medizin, wo nicht Apparate die Arbeit machen, sondern Menschen für Menschen da sind. Seit 2003 ist er Vizepräsident der Internationalen Gesellschaft für Hämatologie (Bereich Europa und Afrika) und seit 1999 Mitglied des vom Bundesministerium für Gesundheit berufenen Wissenschaftlichen Ausschusses für Genanalyse und Gentherapie am Menschen.
In Österreich ist das kein Thema. Nach den gesetzlichen
Bestimmungen werden bei uns Embryos, die bei der künstlichen Befruchtung übrig bleiben, entsorgt. Im Österreich kommen sie nach einem Jahr wohin? Wohin glauben Sie?
In den Kanal.
Als Forscher finde ich es schade um die Zellen, sie werden ja nicht zusätzlich angefertigt. Es bleiben fast immer welche übrig, denn die Befruchtung funktioniert oft nicht beim ersten Mal und dann braucht man einen Vorrat. So ist es eben. Auch wenn es offiziell keine überzähligen befruchteten Eizellen gibt.
Man könnte, wie zum Beispiel in Großbritannien, embryonale Stammzellen für die Forschung freigeben. Nur im Einzelfall und unter strengen Kontrollen. Schwarz-Weiß sehen ist hier fehl am Platz.
Das Problem wird exportiert. Wenn ich die Zellen aus Australien bestelle, bin ich ethisch um nichts besser. Meiner Meinung nach passt hier der Terminus: fauler Kompromiss. Eine Alternative wäre es, adulte Stammzellen umzuprogrammieren. Wenn das gut funktioniert, braucht man keine embryonalen Stammzellen mehr. Derzeit gibt es aber noch ein Problem: Man untersucht gewisse Eiweißstoffe an den Zell-Oberflächen und sagt die Zellen sind umprogrammiert. Doch: funktioniert die Zelle so wie früher, oder sieht die Zelle nur so aus wie früher? Um zur Ethik zurückzukommen: Bei uns ist nicht einmal die Präimplantationsdiagnostik erlaubt. Ein Beispiel: Ein glücklich verheiratetes Ehepaar hat ein Kind mit Fanconi-Anämie. Das ist eine angeborene genetische Erkrankung, zwischen dem zehnten und zwanzigsten Lebensjahr stirbt das Kind wahrscheinlich, mit einer Stammzelltransplantation wäre es zu etwa 80% heilbar. Eine Kommission könnte eine künstliche Befruchtung samt Präimplantationsdiagnostik gestatten. Die Mutter könnte ein zweites, gesundes Kind bekommen, und mit den Nabelschnurzellen des gesunden Kindes könnte man dann das Fanconi-kranke Kind transplantieren und heilen. Was ist da ethisch schlecht? In Österreich dürfen Sie das nicht machen, aber die Kassa zahlt, wenn sie dafür nach Tschechien oder Belgien reisen. Wenn nicht einmal das geht, was reden wir da von Forschung mit embryonalen Stammzellen.
Doch, hier diskutiert man über die Eigenspende, sogenannte autologe Stammzellen. Firmen preisen sie als Apotheke des Lebens, usw., doch das ist Bauernfängerei. Seit zehn Jahren forscht man auf dem Gebiet und kommt nicht viel weiter. Aber allogen, also für jemand anderen das Restblut aus dem Mutterkuchen zu spenden, ist eine sozial wertvolle Leistung. Ob autolog und allogen muss unterschieden werden, da ist ein Riesenunterschied. Vor mittlerweile zehn Jahren haben wir begonnen, Nabelschnurblut zu verwenden. Unsere erste Patientin war unter den ersten sieben Erwachsenen mit akuter myeloischer Leukämie, die in Europa transplantiert wurden. Der Dame geht es super, sie braucht seit achteinhalb Jahren keine Therapie mehr. Damals war sie 34 Jahre alt, die Leukämie war so weit fortgeschritten, dass sie etwa vier Monate später gestorben wäre. Mittlerweile haben wir 27 Patienten mit allogenen Stammzellen aus dem Nabelschnurblut transplantiert, 50% davon leben.
Wenn wir schon monatelang einen Knochenmarksspender suchen und keinen finden.
Nur die Schweiz hat bei allen Spendern die HLA-Merkmale, die entscheiden, ob das Transplantat wahrscheinlich abgestoßen wird oder nicht, typisiert. In Österreich dauert eine Spendersuche im Schnitt 1,8 Monate, ein im internationalen Vergleich guter Wert.
Österreich hat z.B. 55.000 Spender in der Kartei, und die sind nicht komplett typisiert. In unseren Breiten finden sie für 23% der Patienten keine passenden Knochenmarkspender, in New York etwa ist es noch viel schlimmer. Wenn ethische Minoritäten untereinander heiraten und Kinder bekommen, kann meist nur Nabelschnurblut helfen, sollte eine Transplantation notwendig sein. Europaweit verwendet man bei 7% der allogenen Transplantationen Nabelschnurblut (700 Transplantationen), in Graz werden es heuer 13% sein.
Die Japaner haben im Schnitt nur 50 kg, da findet man leichter eine Spende mit ausreichend vielen Stammzellen. Und, was in Europa nie und nimmer geht, in Japan gibt es HLA idente Spender. Unglaublich. Das ist eine Inselpopulation, die sich nie vermischt hat.
Es gibt seltener eine Abstoßungsreaktion. In Europa haben Sie keine Chance, so gut passende Spenden zu bekommen. Wir nehmen bei sechs väterlich und sechs mütterlich vererbten HLA-Loci ein Mismatch oder zwei in Kauf. Bei Dreien wird es problematisch.
Ja. Wir suchen aus einer internationalen Liste eine Spende aus, aus Taiwan oder woher auch immer, dürfen sie für vier Wochen reservieren lassen. Ich schätze, dass etwa 500.000 Einheiten registriert sind. Die Zellen und den Transport muss man dann bezahlen.
Je stärker die Krankheitsausbreitung vor der Transplantation ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit wieder kommt. Beim Nabelschnurblut muss die Krankheit vorher stabilisiert werden. Die Zellen sind immunologisch naiv, sie lernen schnell, aber sie brauchen ihre Zeit. Etwa drei Monate.
Wir besprechen alles sehr ausführlich mit den Patienten, und es lebt ein jeder ganz gerne. Gerade die Jungen gehen das Risiko ein, um geheilt zu werden. Natürlich macht es einen Unterschied, ob jemand 65 ist oder 20. Darum machen wir bei älteren Patienten die sogenannte Dosis-reduzierte Konditionierung, das heißt, die Leute werden nicht so stark belastet und erleiden weniger Nebenwirkungen. Ab 50 hält der Körper eine Ganzkörperbestrahlung nicht mehr so einfach aus. Doch wir müssen die Krankheit unbedingt stabilisieren, bei fortschreitender Krankheit hätte es keinen Sinn zu transplantieren. Wir untersuchen Herz, Lunge, etc. und entscheiden individuell. Unser Ziel ist eine individualisierte Medizin. Dass ich sagen kann: Für Sie ist das jetzt das Beste, für Sie wäre das aber falsch.
Das ist richtig.
Nein, die PatientInnen empfinden das Leben nach der Transplantation als zweites Leben, und das kann ruhig mit einer anderen Blutgruppe beginnen. Viele gehen geläutert aus der Behandlung, leben bewusster. Auch Beziehungen ändern sich, schlechte Beziehungen können scheitern, die Leute werden stärker. Sie machen tabula rasa, werden konsequenter.
In Österreich die Krankenkasse.
Das hängt davon ab ob Eigen- oder Fremdtransplantation, Geschwister oder Fremdspender. Zwischen 25.000 und 130.000 Euro. Die Behandlung ist sehr intensiv, um einen Patienten kümmern sich bis zu drei Schwestern. Ich würde sagen, die Stammzelltransplantation ist die größte Zuwendung vom Menschen zum Menschen. Hier machen nicht Apparate die Arbeit, hier rennen die Pflegekräfte und ÄrztInnen ununterbrochen, damit sie einen Patienten durchbekommen, der keine immunologische Abwehr hat und immunsuppressive Therapie kriegt. 14 Tage lang. Wir dürfen keinen Fehler machen. Dazu haben wir ein System wie bei der Airline. Check, check, check. Bei jedem Schritt. Check, check, check. Uhrzeit, Unterschrift. Wenn wir einen Fehler machen, kann der Patient tot sein. Das darf nicht passieren. Daher haben wir das Überwachungssystem so minutiös ausgebaut.
Wir erklären es unseren Patienten. Ich zahle für die Möglichkeit gesund zu werden mit einem gewissen Risikoaufschlag. Die Jungen nehmen das an, die Älteren nicht immer. Wir sind auch nicht böse, wenn einer Nein sagt. Warum sollten wir, ich finde es OK. Von allen Stammzelltherapien ist Transplantation mit blutbildenden Stammzellen die etablierteste, seit 1975 wird sie in größerem Maßstab gemacht, mittlerweile sind es weltweit 53.000 pro Jahr, die Tendenz ist steigend. Vor allem bei der akuten myeloischen Leukämie ist die Transplantation sehr wichtig. Für die Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie (CML) haben wir großartige, neue Medikamente. Hier ist die Transplantation in den Hintergrund getreten, früher war sie die einzige Therapie, mit der wir CML-Patienten retten konnten.
Wir leben im Zeitalter der gezielten Therapie, wenn etwas kommt, dass es besser kann, tritt das Alte in den Hintergrund. Wieso nicht.
Mit der alten zytostatischen Chemotherapie konnten wir nach einigen Jahren sekundäre Tumore beobachten, das passiert bei den modernen Therapien, die Krebszellen gezielt angreifen, nicht mehr. Der Vorteil der gezielten Therapie ist, dass sie die Strukturen der Zelle angreift, aber nicht die DNA. Wenn es auf die DNA geht, dann geht es auf die Substanz. Das hält man nicht lange aus. Heute ist das menschliche Genom entschlüsselt, man kann die Genomsequenz bei den einzelnen Tumoren untersuchen, der eine erzeugt dieses Genprofil, der andere jenes. Man spart sich damit jahrelange Tierversuche.
Es wird laufend besser, sagen wir so. Wir sagen zu 120 verschiedenen Krankheiten Krebs und können sicher nicht alle mit einem Ansatz bekämpfen. Jeder wartet auf Durchbrüche bei den Massenerkrankungen, also Lungen-, Dickdarm- und Brustkrebs. Hier gibt es natürlich Fortschritte, aber auch noch viel zu tun. Bei der Behandlung von CML ist es tatsächlich so, wie der kleine Maxi sich das vorstellt: Sie nehmen eine Tablette und nach vier Wochen ist die Leukämie weg. CML ist ein großartiges Beispiel. Hier hat der menschliche Geist etwas ausgedacht, man hat es ausprobiert und es funktioniert. Man nimmt dem Krebs-Klon gezielt die Energie weg, wie wenn sie das Licht ausdimmen und der Klon geht zugrunde. 270 Stoffe wurden getestet, bis es so weit war, aber jetzt funktioniert es.
Nichts zu danken, es hat Spaß gemacht.
s, 10.03.2013