Würmer beim Denken beobachten

Bild: Bild: "C. elegans brain activity", IMP

Manuel Zimmer und seinem Team vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP) ist es erstmals gelungen, die gehirnweite Aktivität von Nervenzell-Netzen eines Tieres mit dessen Verhaltensabsichten in Verbindung zu bringen. Die Wiener WissenschaftlerInnen konnten zeigen, dass die Nervenzellen (Neuronen) des Fadenwurms zwar verschiedene Funktionen ausführen, aber im Kollektiv aktiv sind.

Der Fadenwurm - Modellorganismus für die Hirnforschung

Die Funktionsweise des Gehirns ist eines der spannendsten Rätsel der aktuellen Forschung. Eine der größten Herausforderungen stellt dabei die Komplexität von Nervensystemen dar. So besteht zum Beispiel ein Mäusegehirn aus Millionen von Neuronen, die auf komplizierte Art miteinander verknüpft sind. Im Gegensatz dazu besitzt der etwa ein Millimeter lange Fadenwurm Caenorhabditis elegans ein Nervensystem, das exakt 302 Nervenzellen umfasst. Aufgrund seiner einfachen Handhabung im Labor und seiner entwicklungsbiologischen Eigenschaften ist er ein wichtiger Modellorganismus für die Grundlagenforschung. Seit fast 30 Jahren weiß man, wie die einzelnen Nervenzellen im Gehirn des Wurms miteinander verknüpft sind und kennt somit seine neuronalen Schaltkreise - ähnlich komplex aufgebaut wie bei größeren Organismen.

Zusammenspiel von Neuronengruppen im Netzwerkverband

Bisher konzentrierte sich die Forschung auf die Funktionen einzelner oder weniger Nervenzellen und deren Zusammenwirken, um Verhaltensweisen wie Bewegungen zu erklären. Beim Wurm wusste man bereits, wie einzelne Neuronen als isolierte Untereinheiten im Netzwerk funktionieren - jedoch nicht, wie sich Neuronengruppen untereinander koordinieren. Hier setzte Manuel Zimmer, Gruppenleiter am IMP, mit seinem Team an und bediente sich richtungsweisender Technologien: Er verwendete einerseits moderne 3D-Mikroskopiemethoden zur schnellen, gleichzeitigen Messung verschiedener Gehirnareale. Andererseits arbeitete er für seine Versuche mit Würmern, die durch Einbau eines Kalziumsensors bei Aktivität leuchten. „Diese Kombination war für uns genial, denn sie ermöglichte eine gehirnweite Einzelzell-Auflösung unserer Aufnahmen in Echtzeit“, erklärt Zimmer die Vorteile seines Ansatzes.

Würmer beim Denken beobachten

Zimmer und sein Team testeten die Reaktion der Tiere auf Futterentzug und setzten sie dann bestimmten Reizen von außen aus. Unter dem Mikroskop bot sich den ForscherInnen ein faszinierendes Bild: „Über das gesamte Gehirn verteilt sahen wir, dass ein Großteil der Neuronen stetig aktiv sind und sich koordinieren. Sie agieren wie in einem Ensemble“, erklärt Postdoktorand Saul Kato - er hat gemeinsam mit dem Doktoranden Harris Kaplan und der Doktorandin Tina Schrödel die Arbeit maßgeblich vorangetrieben. Die Tiere konnten sich bei diesen Versuchen nicht bewegen, ihre Reaktionen waren somit reine Gedankenspiele. Mit einer anderen Mikroskopiertechnik, entwickelt für frei bewegliche Würmer, konnten die ForscherInnen herausfinden, welche Neuronen die Kommandos zur Ausführung einzelner Verhaltensabläufe erteilen. Zwischen bestimmten Netzwerkaktivitäten und dem Impuls für Bewegungen sahen sie eindeutige Zusammenhänge und konnten den Tieren somit regelrecht beim Denken zuschauen. Sowohl kurze Bewegungen als auch längere Verhaltensstrategien wie beispielsweise die Futtersuche konnten die WissenschaftlerInnen so analysieren. „Das ist bisher noch niemandem gelungen“, so Zimmer. Ähnliche neurale Aktivitätsmuster wurden zwar auch bei höher organisierten Tieren entdeckt, doch die ForscherInnen konnten immer nur einen kleinen Teil aller Nervenzellen in Unterbereichen des Gehirns untersuchen. Zimmer und seine MitarbeiterInnen sind überzeugt, dass im Fadenwurm – obwohl nur sehr entfernt verwandt mit den Säugetieren – grundlegende  Prinzipen der Gehirnfunktion präzise beschrieben werden können.

Untersuchung der molekularen Mechanismen

Noch sind in der Neurobiologie viele spannende Fragen unbeantwortet. Etwa die der Entscheidungsfindung oder ob das Gehirn formale Rechenschritte durchführt und damit einem Computer ähnelt. Zimmer möchte in einem nächsten Schritt erst einmal die molekularen Mechanismen analysieren, die den von ihm untersuchten Prozessen zugrunde liegen. „Interessant wäre es natürlich auch, langanhaltende Zustände im Gehirn wie Schlafen und Wachsein genauer zu untersuchen“, so der Forscher.

Quelle: Presseaussendung IMP vom 15.10.2015

Originalpublikation: KatoS., Kaplan HS, Schrödel T. et al.: Global Brain Dynamics Embed the Motor Command Sequence of Caenorhabditis elegans, Cell (2015), Oct22;163(3):656-69. doi: 10.1016/j.cell.2015.09.034.

Erstellt am 5.11.2015 von AS

s, 05.11.2015