Interview - Lila Tomaten

s_150_800px-cathie_martin_1_dgt_bysajpg Bild: Foto: Open Science

Lila Paradeiser gegen Krebs - das Interview Die britische Forscherin Cathie Martin und ihr Team haben Tomaten einen Farbstoff eingepflanzt, der vor Krebs schützen soll. dialog<>gentechnik fragte die Pflanzengenetikerin über Wirkung und mögliche unerwünschte Wirkungen.

Frau Martin, Sie und ihre MitarbeiterInnen haben mithilfe der Gentechnik Tomaten kreiert, die noch gesünder sein sollen, als das Gemüse ohnehin schon ist. Wie sind Sie dazu gekommen?


In England geben wir unseren Kindern einen speziellen Trunk aus Schwarzen Johannisbeeren, er besteht zwar vor allem aus Zucker, ist aber trotzdem sehr gesund. Die dunklen Farbstoffe der Johannisbeeren, Heidelbeeren und Brombeeren sind nämlich sehr wichtig für uns, man nennt sie Anthocyanine.
Wir wollten wissenschaftlich testen, ob sie tatsächlich gesundheitsfördernd sind oder nicht, und dazu mussten wir eine Frucht, die Anthocyanine hat, mit derselben Frucht ohne Anthocyanine vergleichen. Tomatenpflanzen produzieren die Farbstoffe in den Blättern aber nicht in der Frucht. Wir verpflanzten zwei Löwenmäulchengene, die die Anthocyaninproduktion ankurbeln, so in die Tomaten, dass sie nur in den Früchten wirken. Mit einigen Tricks bekamen wir die Tomaten dazu, etwa so viel Anthocyanine anzureichern wie Blau- oder Brombeeren. Denn wir wussten von Ernährungsstudien, dass es auf die Menge ankommt, hie und da eine Handvoll Beeren reicht nicht, um gesund zu bleiben, regelmäßiger Konsum über längere Zeit hilft jedoch.
Wir haben nun Mäusen, zusätzlich zu ihrem normalen Futter, entweder rote oder lila Tomaten gegeben. Dazu haben wir bestimmte Mäuse verwendet, die besonders häufig Krebserkrankungen haben und nach durchschnittlich 140 Tagen an Tumoren sterben. Fütterten wir ihnen die roten Tomaten, so lebten sie im Schnitt 142 Tage, gaben wir ihnen die lila Früchte 180. Die Anthocyanine verlängerten also ihre Lebensdauer um 30%, die Krebsgeschwüre wucherten langsamer und töteten die Tiere nicht so schnell.
Wir haben damit ein exaktes Modell entwickelt, mit dem wir weiterforschen können, und wir haben gezeigt, dass die Anthocyanine tatsächlich gesundheitsfördernd sind. Und zwar in einer Menge, die wir mit der normalen Nahrung aufnehmen können, nicht nur als konzentrierte Pillen. Wir können nun wissenschaftlich fundiert empfehlen, Beeren zu essen, denn sie enthalten Stoffe, die Krankheiten verhindern und den Fortschritt chronischer Leiden verlangsamen.

Könnte man nicht einfach mehr Heidelbeeren oder Johannisbeeren essen, es gibt genug Früchte, die voller Anthocyanine sind, wozu brauchen wir zusätzlich lila Tomaten?


Leider essen viele Leute keine Beeren. Sie sind teuer, es gibt sie nicht das ganze Jahr über, und manche mögen sie einfach nicht. Aber fast jeder isst Tomaten, sei es als Ketchup in einem Hamburger oder auf einer Pizza.

Sind die Anthocyanine im Ketchup oder auf der Pizza überhaupt noch wirksam? Das heißt, wenn die Tomaten gekocht oder sonst wie verarbeitet werden?


Wir haben den Mäusen die Tomaten als Granulat verfüttert, dazu die Tomaten im Druckkochtopf erhitzt. Die Anthocyanine verlieren ihre Funktion also nicht beim Kochen.

Kann man zu viele Anthocyanine abbekommen, egal ob von Beeren oder lila Tomaten?


Das kann ich mir nicht vorstellen, denn früher aßen die Menschen viel mehr Beeren. Unser Genom ist immer noch das von Jägern und Sammlern, erst vor etwa 10.000 Jahren begannen die Menschen, Getreide anzubauen und zu verzehren. 10.000 Jahre sind bloß 500 Generationen, das ist viel zu wenig, um uns an die radikale Umstellung in der Ernährung anzupassen. Die Nahrung der Jäger und Sammler war proteinreich, viel Fleisch, aber mager, wenig Fett, wenig Stärke und viele Vitamine und Spurenelemente aus Beeren und anderem Obst und Gemüse. Nun haben wir auf einmal eine Getreidediät, also viel Stärke, und dazu essen wir viel mehr Öl und Fett. Ich glaube, viele chronische Leiden stammen von einer unnatürlichen Ernährungsweise, auf die wir nicht optimal angepasst sind. Mehr Beeren und mehr Anthocyanine würden also eher einer traditionellen Ernährung entsprechen.

Besonders in Österreich und auch Deutschland sind die Menschen sehr skeptisch gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln, kann man lila Tomaten auch konventionell herstellen?


Man verkauft sogar schon Tomaten, die als anthocyaninreich angepriesen werden. Sie sind aus gebräuchlichen Tomaten und Wildformen gezüchtet, ihre Haut ist ein bisschen lila und sie enthalten ein wenig Anthocyanine. Aber nur in der Haut, und die macht nur etwa 5% der Frucht aus, das heißt, die Anthocyaninmenge in diesen „Sunblack“-Tomaten ist gegenüber unseren gentechnisch veränderten (gv) Tomaten verschwindend gering. Nichtsdestotrotz bewirbt man diese Tomaten mit den positiven Effekten, die wir gezeigt haben. Doch ich bin mir sicher, die geringen Anthocyaninmengen dieser Tomaten haben gar keine gesundheitsfördernde Wirkung.
Ich halte die Diskussion gv oder gv-frei für lächerlich, die Leute sagen man bekäme diese Frucht auch durch natürliche Varietäten, aber das funktioniert schlicht und einfach nicht.

Sie sagten einmal, Sie akzeptieren, dass die lila Tomaten in England und Europa nicht so schnell auf die Teller kommen, weil die Ablehnung zu groß ist. Ist die Ablehnung begründet oder finden Sie die Bedenken technikfeindlich?


Ich sehe an der Gentechnik nichts Bedenkliches, ich verwende in meiner Forschung schon seit über zehn Jahren gentechnisch veränderten Organismen und dabei gab es nie ein Problem. Arbeitet man wissenschaftlich, sagt niemand: Sie arbeiten mit gentechnisch veränderten Organismen, das ist problematisch.
Ich glaube, hier werden verschiedene Argumente durcheinandergebracht. Man ist gegen die Gentechnik, denn damit assoziiert man gerne Globalisierung, Geschäftemacherei, Leute, die andere Leute ausbeuten, die landwirtschaftliche Industrie, die unsere Umwelt zerstört, und so weiter. Aber dies ist eine selbsterfüllende Prophezeiung, es ist so teuer, gentechnisch veränderte Organismen durch die regulatorischen Instanzen zu bekommen, dass es sich nur mehr ganz große Firmen leisten können. Und diese Firmen investieren nur in Merkmale, die sie an die Bauern verkaufen können, um damit große Gewinne einzufahren. All die Zulassungsverfahren, die man Monsanto abverlangt, nützen der Firma eigentlich, denn sie halten die Konkurrenz ab und verhindern Wettbewerb. Geht man auf die Straße, um die Zulassungsverfahren streng und die Kosten hoch zu machen, so wird man kaum Eigenschaften und Varietäten bekommen, die dem Konsumenten nutzen.
In einigen Ländern hat man sich an gentechnisch veränderte Organismen gewöhnt, und die Leute sehen einige Vorteile auch für die Allgemeinheit. Zum Beispiel erleichtern herbizidresistente Sojapflanzen den Bauern in den USA das Leben. Sie müssen das Unkraut nicht mehr unterpflügen, sprühen einfach Unkrautvernichtungsmittel und entfernen damit die anderen Pflanzen, das Wasser wird dadurch besser im Boden gehalten, die Bodenstrukur ist besser, die Methode ist nachhaltiger und weniger arbeitsintensiv. Ich glaube, wenn es Merkmale gibt, die den VerbraucherInnen nutzen, werden auch die EuropäerInnen sehen, was wir eigentlich für sie tun könnten. Aber heutzutage rackern wir uns noch ab, Unterstützung zu bekommen.

Dennoch können die EuropäerInnen keinen Vorteil für sich selbst erkennen. Also fragt man sich: “Wozu benötigen wir gentechnisch veränderte Organismen, sie machen Monsanto reicher, sie helfen vielleicht den LandwirtInnen, aber ich bin weder noch, ich bin bloß Konsument?“


Eines der Dinge, die mir an der Tomatengeschichte gefallen, ist der mögliche gesundheitsfördernde Effekt. Hinter unserer Arbeit steht keine Geschäftemacherei. Monsanto sponserte uns nicht, und so hatten NGOs kaum Möglichkeiten uns anzugreifen.
Es ist erschreckend, aber Leute riefen mich an, erzählten mir, dass sie gerade eben die Diagnose Krebs erfahren haben, und fragten mich, ob ich ihnen die lila Tomaten schicken könne. „Nein, kann ich nicht, und ich kann nichts, aber auch gar nichts, versprechen.“
Doch stellen Sie sich vor, Sie stehen im Supermarkt und da gibt es diese lila Tomaten … Sie sind in einer besonders guten Sorte gezüchtet, die ausgezeichnet schmeckt, und dann gibt es die gewöhnlichen Tomaten. „Welche nehme ich nun“, denken Sie, „vielleicht diese da, sie sind kaum teurer, aber sie könnten besser für mich sein?“ Keiner wird Sie zwingen die Tomaten zu kaufen, aber es ist doch wohl ganz gut wählen zu können, oder etwa nicht?

Haben Sie die lila Tomaten patentieren lassen, oder haben Sie es vor?


Nein, dafür gibt es kein Patent. Wären die lila Tomaten neuartig genug, dass man sie hätte patentieren lassen können, hätte mein Institut vermutlich auf ein Patent bestanden. Ich bin aber sehr froh, dass es kein Patent auf die Tomaten gibt, weil ich es nicht gut fände.

Und wollen Sie bei Tomaten bleiben, oder versuchen Sie sich demnächst an lila Basilikum und Mozzarella?


Es gibt roten Basilikum, er ist gentechnikfrei, hat Anthocyanine, aber nicht so viel, dass er eine Wirkung hätte. Wir würden gerne mit Kartoffeln arbeiten, denn es gibt viele Gründe Kartoffeln gentechnisch zu verändern, etwa um sie resistent gegen Krankheitserreger und Fäule zu machen, aber das funktioniert in Europa nur, wenn man es mit Vorteilen für die Verbraucher koppelt. Glaube ich zumindest.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für ihre Forschung.


s, 10.03.2013