Medizin zum Klingen bringen

Bild: Bild: Sounds and Science

Mitte März trafen sich MedizinerInnen, MusikerInnen und Interessierte zum zweiten Mal im Rahmen der 2014 gestarteten Sounds and Science Vortrags-/Musikreihe im Wiener Konzerthaus. Initiiert von Ärzten des Wiener AKHs versucht die Sounds and Science Reihe Musik, Medizin und Wissenschaft in einen sich gegenseitig befruchtenden Dialog zu bringen.

Die Veranstaltung stand diesmal unter dem Motto „Musik. Krebs. Zukunft“. Die Pathobiographien dreier klassischer Komponisten (Brahms, Debussy, Schumann), musikalische Klänge ihres Schaffens und der hergestellte Bezug zu gegenwärtiger Forschung bildeten dabei eine durchaus inspirierende Mischung.

Erfrischender Wechsel zwischen Musik und Wissenschaft

Durch die unübliche Kombination von Musik und Medizin soll für die BesucherInnen eine gesteigerte Wahrnehmung entstehen. Und in der Tat: nach dem Hörgenuss von Johannes Brahms Sonate für Klavier und Violoncello, e-mol, Opus 38, vernimmt man dessen Krankengeschichte mit anderen Ohren. Der erfrischende Wechsel zwischen Musikprogramm und Vorträgen erlaubt verschiedene Erlebnismodalitäten und wirkte so als probates Mittel gegen das „Ermüdungssyndrom“, das ZuhörerInnen wissenschaftlicher Vorträge bekanntlich oft heimsucht.

In den kurzen Vorträgen zwischen den Musikstücken schafften es die MedizinerInnen einen Einblick in vergangene Zeiten und die damals relativ limitierten medizinischen Behandlungsmöglichkeiten zu geben. Unterstützt von historischem Fotomaterial und biographischen Anekdoten wurde so der zeitspezifische Umgang mit Krebserkrankungen erlebbar gemacht. Brahms Reaktion auf seine sich verändernde Hautfarbe zeigt wie er die Symptome seines nicht diagnostizierten Bauchspeichelkrebses erfolgreich ignorierte: Er sei eben ein bisschen gelb, na und? Solange sein Appetit nicht nachlasse.

Medizinischer Fortschritt klingt durch

Eine zentrale „Forschungsfrage“ der vortragenden MedizinerInnen war, inwiefern die damals gestellten Diagnosen nach heutigem Wissensstand noch haltbar sind. Am Beispiel Robert Schumanns ging Christine Marosi auf den Symptomkomplex des berühmten Komponisten ein, der unter anderem an Halluzinationen litt. Die Annahme, dass die Symptome auf einen Gehirntumor schließen lassen, konnte sie jedoch nach Rücksprache mit einem Pathologen nicht bestätigen. Am eindrucksvollsten klang in den Vorträgen der medizinische Fortschritt in der Behandlung von Krebs durch. Die Chancen auf längeres Überleben stünden heute für die drei Komponisten ohne Frage deutlich besser.

Notwendigkeit von Tiermodellen

Den Hauptvortrag hielt an diesem Abend der Molekularbiologe Erwin Wagner über das „Geheimnis“ Krebs. Der renommierte Grundlagenforscher untersucht die molekularen Mechanismen von Krebsentstehung und –entwicklung sowie die Beziehung zwischen Krebs und Entzündungen. Für diese Art der Forschung, so Wagner, seien Tiermodelle, also Tierversuche mit Mäusen, unumgänglich. Er erklärte in anschaulicher Weise, mit welchen Methoden derzeit transgene Versuchstiere „hergestellt“ werden.

Dass es sich bei Kachexie nicht um einen musikalischen sondern medizinischen Terminus handelt, vermittelte er ebenso eindrücklich. Kachexie beschreibt die starke Abmagerung, die bei etwa einem Drittel der KrebspatientInnen zum Tod führt. Um den dafür verantwortlichen Fettverbrennungsprozess zu erforschen, gilt es den Blick auf den ganzen Organismus und nicht allein auf die Krebserkrankung zu lenken. Wagners Vision: Durch Biomarker könnten in Zukunft jene PatientInnen präventiv identifiziert und behandelt werden, die eine Disposition für Kachexie aufweisen (siehe auch hier).

Plädoyer für Solidarität

Nach dem letzten musikalischen Akt, einem Klavierquintett von Robert Schumann, blickte der Onkologe Christoph Zielinski in die Zukunft. Er schloss mit einem Plädoyer für gesellschaftliche Solidarität, denn obwohl die Krebsforschung große Erfolge erziele, sei ihr Einsatz in der Behandlung aufgrund der hohen Kosten in Zukunft nicht gesichert. Die Gesellschaft dürfe die Kranken nicht im Stich lassen, so Zielinski.

Diesem Aufruf folgend geht der Reinerlös der bis 2016 insgesamt sieben geplanten Sounds and Science Veranstaltungen an die Österreichische Krebshilfe. Dies rechtfertigt zwar die relativ hohen Ticketpreise, trägt jedoch auch zum eher elitären Charakter der Veranstaltung bei. Für die BesucherInnen eröffnet die Sounds and Science Reihe jedenfalls einen innovativen Experimentierraum in dem Musik und Medizin aufeinander einwirken und zu neuen Einblicken verhelfen können.

Mehr zur Veranstaltungsreihe: http://soundsandscience.com

Erstellt: 16.03.2015

s, 16.03.2015