Leben neu schaffen, Organismen aus dem Baukasten, den genetischen Code neu schreiben. Diese und ähnliche Schlagworte bringt man mit Synthetischer Biologie in Verbindung. In der Synthetischen Biologie sehen die ForscherInnen Lebewesen nicht aus der Perspektive von WissenschaftlerInnen, sondern aus der von IngenieurInnen. Sie wollen lebende Organismen nicht bloß untersuchen und beschreiben, sondern auch gestalten. So wie sich vor etwa 100 Jahren die Chemie vom Studieren und Beschreiben der natürlichen Chemikalien zum Design und der Synthese von neuen Stoffen entwickelte, entspringt die Synthetische Biologie gegenwärtig aus der biologischen Grundlagenforschung. "Wir wollen den genetischen Code nicht nur mehr lesen, wir wollen ihn schreiben", so Craig Venter einer der Bekanntesten unter den Synthetischen BiologInnen.
In der Gentechnologie werden ein oder mehrere Gene in natürliche Organismen gebracht, um diese mit neuartigen Funktionen auszustatten. Gentechnisch veränderte Baumwolle z. B. enthält ein Gen aus dem Bodenbakterium Bacillus thuringiensis um Baumwollkapselraupen abzuwehren.
Die Synthetische Biologie geht nun ein paar Schritte weiter: die ForscherInnen wollen künstliche Organismen mit völlig neuen Eigenschaften designen und zusammensetzen. Die künstlichen Lebewesen sollen vielfältige Aufgaben bewältigen können: Informationen verarbeiten, Chemikalien verändern, Materialien und Strukturen herstellen, Energie produzieren, Nahrungsmittel bereitstellen, die menschliche Gesundheit verbessern und die Umwelt sanieren.
Als erster synthetischer Organismus wurde 2002 das Polio-Virus mit einem Genom von 7741 Basen in 2-jähriger mühevoller Arbeit nachgebaut. Ein Jahr später brauchte man im Institut von J. Craig Venter nur mehr zwei Wochen für den Bakteriophagen PhiX174 (5386 Basenpaare). Und im gleichen Labor schuf man 2006 das erste echte Lebewesen (Viren und Bakteriophagen zählen nicht zu den Lebewesen, da ihnen eigener Stoffwechsel und Energiehaushalt fehlen) mit synthetischem Genom: das Bakterium Mycoplasma genitalis JCVI-1.0 (580.000 Basenpaare). Diese raschen Fortschritte sind möglich, weil die Techniken zum Lesen (Sequenzieren) und Schreiben (Synthetisieren) der DNA zurzeit rasch weiterentwickelt werden, und immer schneller und billiger werden.
Die BioIngenieurInnen wollen aber nicht nur vorhandene Organismen nachbauen, sie wollen auch künstliche biologische Systeme mit verschiedenen nützlichen Eigenschaften hervorbringen. Als Grundgerüst entwickeln sie zunächst einen auf das Nötigste reduzierten Organismus. Die ForscherInnen arbeiten derzeit an einem Bakterium mit synthetischem Genom, das nur noch die lebensnotwendigen Gene von Mycoplasma genitalis enthält, das sind etwa 382 von 482 Gene.
Je nach Bedarf wollen die BioingenieurInnen dann bestimmte Module hinzufügen. Diese Module nennen sie "Biobricks": biologische Bausteine. Diese Biobricks können natürlich vorhandene Schaltkreise sein, wie etwa Stoffwechselwege, biologische Sensoren oder Signalketten. Man will aber auch künstlich biochemische Module mit neuen Funktionen gestalten und in Lebewesen integrieren. Diese Biobricks sollen standardisiert und beliebig kombinierbar sein. Wie bei einem Baukasten wollen die IngenieurInnen verschiedene Module auf das Grundgerüst setzen und die gewünschten Funktionen schnell und einfach kombinieren.
Eine Klasse von Biobricks soll z. B. Stoffe aus der Umgebung messen, eine andere die Signale der Sensoren weiterleiten und die dritte wiederum einen Farbstoff produzieren oder das Bakterium zum Leuchten bringen. Weitere Module sollen Stoffwechselwege enthalten, mit denen das synthetische Bakterium z. B. Ethanol, Wasserstoff, Treibstoff oder ein Medikament gegen Malaria produzieren kann.
Bakterien sind die einfachsten Lebewesen, deshalb sind sie für die BioIngenieurInnen zunächst das Objekt ihrer Forschungen, in Zukunft wollen sie aber auch Pflanzen und vielleicht sogar Tiere mit den Methoden der Synthetischen Biologie verändern.
Erste Erfolge zeigen sich bei der Erforschung der Biosynthese des Malaria-Impfstoffes Artemisinin in genetisch modifizierten E. coli Bakterien und Sacharomyces cerevisiae.
Mit entsprechenden genetischen Schaltkreisen versehene Bakterien könnten die Anwesenheit von Landminen anzeigen, wobei das Signal eine bestimmte Konzentration von TNT im Boden und die Reaktion ein Aufleuchten in von der Konzentration des TNT abhängigen Farben ist.
Wie jede neue Technik birgt die Synthetische Biologie auch Risiken und das Potential zum Missbrauch. Besonders in den USA und in Großbritannien wird diskutiert, dass TerroristInnen in relativ einfach ausgestatteten Labors gefährliche Krankheitserreger basteln könnten. Ein britischer Journalist etwa machte die Probe aufs Exempel: er bestellte kurze Abschnitte der Erbinformation eines Krankheitserregers und bekam diese prompt nach Hause geliefert. Dies ist per se nichts besonderes, viele Impfstoffhersteller benötigen diese für sich alleine gänzlich ungefährlichen DNA-Stücke. Dennoch, so die Kritik, aus diesen Bausteinen könnte man nicht nur Impfstoffe, sondern auch neue Krankheitserreger zusammenstellen.
In Europa ist man vermehrt um ethische Aspekte besorgt. Man fürchtet um mögliche Auswirkungen der synthetischen Lebewesen auf die natürlichen Organismen und deren Ökosysteme. Um zu verhindern, dass sich natürliche und synthetische Systeme durchmischen entwickeln die BioingenieurInnen alternative Informationsspeicher zu den natürlichen DNA-Basen. Die Europäische Union fördert seit 2007 ein Projekt dass sich ausschließlich mit Fragen zur Sicherheit und Ethik der Synthetischen Biologie befasst. Man will mögliche Risiken und Probleme sorgfältig abschätzen und ihnen rechtzeitig entgegenwirken.
s, 10.03.2013